Im Gespräch: Prof. Olaf Van Gonissen, Prof. Gerhard Müller Hornbach und Udo Diegelmann

Udo Diegelmann: Im Vorfeld der Aufführungen, bei denen Schüler diese Kompositionen spielen werden, wurden von deren Lehrern, die sie vorbereiten, neben viel Lob auch kritische Anmerkungen zu diesem Projekt gemacht. So besteht bei manchen ein Motivationsproblem durch die Distanz zur Neuen Musik und die ungewohnte Notation.

Grund hierfür sind die iin der Regel praktizierten klassischen und herkömmlichen Unterrichtsinhalte: Liedbegleitung, Improvisation, Rock-Pop Songs und E-Gitarre. Dies sowohl aufgrund eigener Vorlieben der Lehrer wie auch auf Wunsch der Schüler.


Gerhard Müller Hornbach: Gerade die Konfrontation mit einer zunächst ungewohnten Notation, bietet die Möglichkeit, sich gemeinsam mit den Schülern Grundsätzliches beim Musizieren vor Augen zu führen. Gerade die gewohnten Noten bergen in sich die Gefahr des falschen Konditionierens und einer eingeschränkten Perspektive. Jeder Schüler sollte verstehen, dass vor den Noten zunächst die klingende Musik als Idee beim Komponisten besteht. Diese ist unbeschränkt, vielfältig, frei und differenziert. Erst danach entsteht das Problem, wie kann ich eine entstandene Idee, einen Klang, aufschreiben, um ihn festzuhalten.

So gibt es eben für unterschiedliche Richtungen verschiedene Notationsweisen. Vieles wird dabei gar nicht notiert, muss aber stilgerecht genauso mitausgeführt werden, ist sozusagen Spielpraxis. Im Rock wird oft gar nichts notiert; die Gruppe entwickelt die Musik gemeinsam ohne Noten und das Konservieren erfolgt über Aufnahmen, die zum Nachspielen wiederum abgehört werden müssen.

So gesehen bietet dieses Projekt den Schülern (und den Lehrern) die Möglichkeit, ihren Horizont zu erweitern: die Noten sind nur ein Hilfsmittel und nicht das Stück, erst wenn es klingt entsteht die Musik.


Olaf Van Gonnissen: Ich habe es oft erlebt, dass gerade im Pop-Rockbereich eine sehr starke Hochachtung vor Notation besteht. Dies führt sehr oft zu der Fehlhaltung, die Notation zu verabsolutieren. Genau dann predige ich immer wieder, die Musik steht zwischen den Zeilen, in dieser Beziehung gibt es keinen Unterschied zwischen Rock und Klassik.

Umgekehrt muss man auch sagen, dass das Prinzip permanenten Wiederholens einen starken Abnutzungs-Effekt bzw. geradezu Desinteresse erzeugt. Dabei ist es egal, ob es sich beispielsweise um eine Kursteilnehmeriin handelt, die auf keinen Fall weiter Telemann spielen wollte, weil sie diesen seit Jahren immer in ihrem Unterricht gearbeitet hatte, oder die Wiederholung von Schlagern durch die Musikindustrie. Irgendwann kann man nicht mehr. Durch die Vermittlung von etwas Neuem, durch Abwechslung im Unterricht entsteht Interesse und es wird Motivation erzeugt.


Udo Diegelmann: Dabei glauben viele Kollegen, sie müssen sich immer nach den Wünschen der Schüler richten, um motivieren zu können. Man sollte dabei doch viel mehr auf die neugierige menschliche Natur des Schülers vertrauen, die danach verlangt, den bisher gewohnten Stoff durch alternative Vorschläge, durch den Mut zu Neuem, auszuweiten und zu bereichern. Wir liefern mit unserem Band ja eine direkte, bequeme Möglichkeit, Abwechslung beim durchzuarbeitenden Lehrbuch zu schaffen.


Olaf Van Gonnissen: Es handelt sich beim Unterrichten idealerweise doch um Teamarbeit. Immer den gleichen Stoff auf immer die gleiche Weise zu vermittteln, geht sowohl dem Schüler als auch uns selbst mit der Zeit auf die Nerven und schafft wenig Begeisterung.

Gleichzeitig sind die Geschmäcker unterschiedlich. Das zeigt sich in unserem Band einerseits bei den Komponisten, auf der anderen Seite bei den Interpreten, denen, wenn sie die Chance des Kennenlernens genutzt haben, die Stücke unterschiedlich gut gefallen werden. Ausprobieren muss man aber.

Die Gitarre, mein Instrument, hat für mich gerade durch die vielen klanglichen Möglichkeiten diese Faszination. Segovia, der Gitarrist des 20. Jahrhunderts, dem Gitarristengenerationen zu Dank verpflichtet sind, war zum Schaden des Instrumentes sehr konservativ und hat sich überhaupt nicht für zeitgenössische Musik interessiert. Dadurch sind viele Stücke nicht komponiert worden, was die Vielfalt der Litaratur eingeschränkt hat. Tolle Komponisten wie Frank Martin waren dann auch mal sauer, wenn die da nicht wollen. Tragischerweise hat das Schule gemacht und viele gehen diesen bequemen Weg des Ausklammerns. Ständige Reduktion auf Asturias und Alhambra bewirkt aber Stillstand, gerade bei den Hörgewohnheiten, die sich ja im Lauf der Zeit weiterentwickeln müssen.


Udo Diegelmann: Als Komponist finde ich dies besonders schade, gerade bei einem Instrument, dass eine solche klangliche Vielfalt zu bieten hat. Ich meine die Möglichkeit von einem Percussionskörper mit differenziertesten Dynamiken und vielfältigsten Timbres, über einen Streich-, Kratz- und Geräuscherzeuger zu einem vielfältigen Harmonie- und Melodieinstrument mit einzgartig warmen Klangfarben zu mutieren, ist etwas besonderes. Dass dies vielen Kollegen beim Entwerfen neuer musikalischer Ideen großen Spass bereitet, finde ich einleuchtend. Der gleichzeitig sehr intime Charakter der Gitarre entspricht dabei wiederum der Sammlung an individuellen Solostücken in unserem Band.


Olaf Van Gonnissen: Der handwerkliche Gewinn für jeden Spieler, bei einem Stück, von dem er glaubt, er könne es zunächst gar nicht spielen, und er findet dann doch einen Weg, bedeutet eine enorme Erweiterung des Repertoirs. Ein Irrtum in der Denkweise der romantischen Instrumentaltechnik ist es, zu glauben, man brauche nie mehr Technik üben, wenn man genügend Tonleitern und Etüden hinter sich gebracht hat. Spätestens dann, wenn man ein zeitgenössisches Werk in die Finger bekommt, merkt man, dass diese Tonleiter-Routine nicht reicht und man ausprobieren muss.


Udo Diegelmann: Gerade die Übearbeit, z.B. so einen Effekt auszugestalten, bringt einen doch weiter - Rauszubekommen, wie erzeuge ich einen künstlichen Flageolettton so, dass er zeitlich genau in den vorhergehenden Akkord hineinklingt, ohne zu laut, zu leise zu spät, zu dunkel etc. zu sein. Dies ist nur eines unter vielen Beispielen, bei denen der Schüler herausfinden kann, wann ihm eine Version optimal gelungen ist. Genau diese Version möchte er sich dann ja immer wieder erarbeiten um sie dann schlisslich sofort erzeugen zu können. Letztendlich wird diese "Beseelungsarbeit" doch immer verlangt, auch wenn nur 4 gewöhnliche Viertelnoten dastehen. Das wird nur gerne all zu oft vernachlässigt.


Gerhard Müller Hornbach: Beim Unterrichten von Kindern und Jugendlichen finde ich es sehr wichtig, dass über das Erlernen der puren Handhabung des Instrumentes hinaus auch ein allgemein-musikalischer Erfahrungsprozess stattfindet. Das bedeutet das Erlernen einer Haltung zur Musik, die Phantasie, Experimentierfreude, Neugierde, sowie ein "auf der Suche sein" beinhaltet.

Erst das ermöglicht die Entdeckung des eigenen Raumes in der Musik. Lediglich durch Reproduktion und eine Richtig-Falsch Bewertung ist es unmöglich zu erspüren, was Kunst ist, nämlich ein Raum, in dem man sich auf ganz persönliche Art und Weise entfalten kann.

Jedes durchgestaltete Aufführung eines Stückes unterscheidet sich durch die individuelle Interpretation von anderen.Hier fließt etwas Persönliches seitens des Interpreten ein. Das gilt für jedes Level. Diese Grundhaltung schult sich besonders, wenn auch das Spektrum der Möglichkeiten groß und offen gehalten wird. Das Suchen ist dabei ein wichtiger Teil der Übearbeit. Unsere Sammlung bietet Lehrern die Möglichkeit, sich gemeinsam mit einem Schüler auf den Weg zu machen, herauszufinden, was sich denn dieser Komponist gedacht hat - "Wie setzen wir das um? Was steckt denn dahinter?"- Dann ist dies ein wunderbarer gemeinsamer Prozess des Erforschens. Gleichzeitig geht die Erfahrung im Nutzen für den heranwachsenden Menschen auch über den Bereich der Musik hinaus, zeigt ihm, wie er die Welt für sich öffnen und erschliessen kann.

So sind meine Kompositionen zwar notiert, aber die Idee dahinter muss erst herausgefunden, zum Klingen gebracht werden.

Ich habe mich auf einen spieltechnisch nicht zu schwierigen Level bezogen. Dagegen habe ich im Ästhetischen keine Kompromisse gemacht. Dies wiederum erfordert beim Spieler eine Umsetzung der differenzierten und spezifischen Klänge, die in meiner musikalischen Vorstellung entstanden sind. Jedes der 3 Stücke beleuchtet dabei eine einzelne Spieltechnik von verschiedenen Seiten, sozusagen als didaktisches Element.


Olaf Van Gonnissen: Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass es unheimlich schwer für Komponisten ist, etwas Leichtes zu komponieren. Das begründet sich ja in den ästhetischen Vorraussetzungen. Es kommt nicht selten vor, dass unspielbare Stücke dabei herauskommen.

Und da muss ich allen ein wirkliches Lob aussprechen, also Hut ab vor diesen Leistungen. Dass es geht zeigt schon die Erkenntniss: Musik ist nicht dadurch gut, dass sie schwer ist.


Udo Diegelmann: Ich kann durch zahlreiche Uraufführungen als Percussion-Intepret nur bestätigen, dass die Suche beim Üben gelegentlich auch zu keinem wirklichen Ergebniss führt, bzw. dass das Resultat: unspielbar dabei herauskommt. Keinesfalls aber war die investierte Zeit verloren, das persönliche Repertoire hat sich auf jeden Fall erweitert und idealerweise kann ein angenähertes Ergebnis entwickelt werden, dass in der Zusammenarbeit mit dem Komponisten legitimiert wird.

Es bestand nun hier die besondere Aufgabenstellung, etwas wirklich Leichteres für Schüler zu komponieren.

Meiner Meinung nach stellt neben den erforderlichen technischen Fähigkeiten eine kompromisslose Ästhetik gleichermaßen einen höheren Schwierigkeitsgrad dar. Hörgewohnheiten erzeugen emotionale Brücken. Ausserdem bilden konzeptionell schlüssig eingebundene Klischees eine eigene Ästhetik. Ich plädiere in dieser Hinsicht für eine offene, situationsgebundene Ambivalenz.

Auch die Erfahrung aus früheren, ähnlichen Projekten hat gezeigt, dass eben programmatische Konzepte zusätzlich über den Titel einen Zugang schaffen und den Einstieg für viele Schüler erleichtern. Daher bin ich damit einverstanden, meine Kompositionen, innerhalb einer sinnvollen, progressiven Anordnung der Werke, an den Anfang zu stellen.

Darüber hinaus gab es ja noch weitere Beschränkungen, das Komponieren für Gitarre an sich und die Berücksichtigung eines thematischen Argentinien-Bezugs,

Gerade dieses Einschränken schafft ein interessantes Aufgabenfeld und begünstigt den intuitiven Zugang zum Komponieren.


Gerhard Müller Hornbach: Kreatives Potenzial beweisst sich darin, innerhalb einer Begrenzung, Differenziertheit und Vielfalt zu entwickeln. Kreativität erlahmt dann, wenn man gesagt bekommt: Du kannst alles machen. Da bin ich auf einer Linie mit Strawinsky, der einmal gesagt hat, ich kann erst dann kreativ werden, wenn der Rahmen abgesteckt ist.


(Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Frankfurt am Main, am 19. 7. 2010)